Einleitung & erstes Statement —
Links zu Geschichte & Wandel —
Aktuelles Fotos —
Tweets seit Juni 2020 —
Texte der Hinweisschilder —
Seit dem Mord an George Floyd werden immer mehr Stimmen gegen aktuell präsenten Rassismus und Spuren des Kolonialismus erhoben; so auch zum Glück in Göttingen. Die großen »Black Live Matters«-Demonstrationen des recht jungen BiPoC-Kollektivs sind dafür ein schöner, lauter und eindrücklicher Ausdruck!
Auch werden immer mehr Forderungen nach einer vertieften Auseinandersetzung mit Verstrickungen der Stadt Göttingen, ihrer Uni und ihrer Kasernen im Kolonialismus gestellt. An dieser Stelle sei auf ein universitäres Rechercheprojekt unter der Leitung von Rebekka Habermas verwiesen: goettingenkolonial.uni-goettingen.de. (erg. 11.5.21)
Vor allem wird auch über das »Südwestafrika«-Denkmal diskutiert [ebenso über die fortdauernden Ehrungen von Blumenbach, (erg. 11.5.21)]. An der Ecke Geismar Landstraße — Friedländer Weg steht zurückversetzt und zugewuchert ein erhöhter Stumpf mit einer eingelassenen Platte, die durch eine Plexiglasscheibe geschützt wird (wodurch ihr Inhalt (zum Glück?) kaum mehr zu lesen ist). Davor, unmittelbar hinter einem niedrigen, verrosteten und grün-lebendigen Zaun, steht eine Infotafel, die nach einer Initiative des Antikolonialistischen Bündnisses (2006: eigene Tafel aufgestellt, danach von Stadt entfernt) im Jahr 2007 von der Stadt aufgestellt wurde.
Dieses »Südwestafrika«-Denkmal steht unweit der ca. 1884 errichteten Städtischen Kaserne (nach 1933: Lüttich-Kaserne), deren Gebäude 1955 von der Gothaer aufgekauft, nahezu vollkommen im Stile der Zeit »modernisiert« und im Frühjahr diesen Jahren zu großen Teilen abgerissen wurde (siehe Beitrag vom 4. Juli). Die Geschichte: a) Vier Soldaten des 82. Infanterie-Regiments starben bei der Niederschlagung eines Aufstandes von Einheimischen in der deutschen Kolonie »Deutsch-Südwestafrika«. b) Bei einem blutigen Genozid an Menschen der Nama und Herero in einem Gebiet, das vom Deutschen Kaiserreich als Eigentum erachtet wurde und nach erreichter Unabhängigkeit zum Staat Namibia wurde, starben auf der einen Seite ca. 10.000 Nama und 40.000 – 60.000 Herero, auf der anderen Seite etliche deutsche Soldaten, u.a. jene vier in Göttingen stationierte (genauere Recherchen meinerseits folgen, insb. Belege). Ihnen zur Ehre wurde ein Denkmal errichtet — gemäß Verständnis a. Gemäß Verständnis b wäre es hingegen endlich mal an der Zeit – auch in Göttingen – ein Denkmal zur Erinnerung an den Genozid an den Herero und Nama, gegen Kolonialismus und Rassismus zu errichten.
Ich unterstütze die Forderung, ein solches Denkmal gegen Kolonialismus und Rassismus einzurichten, stehe jedoch einem ersatzlosen Abriss des »Südwestafrika«-Denkmals kritisch gegenüber. Vielmehr wünsche ich mir eine deutlich komplexere Information über den Genozid, deutschen Kolonialismus und die Geschichte des Denkmals vor Ort. Ein beibehalten des Steinsockels würde ich sehr begrüßen, denn nichts kann eindrücklicher das Wachsen eines postkolonialistischen Denkens verdeutlichen, als ein im Laufe von über 100 Jahren immer weiter mutwillig beschädigtem und mutwillig instandgesetztem Denkmal. Der finale Schritt des vollständigen Abtragens wäre in der Abfolge der Beschädigungen zwar das Konsequenteste, doch sind gewisse steinerne Zeugnisse und ein reflektierter, informierender Umgang mit ihnen eindrücklicher und anschaulicher als ein neu errichtetes Denkmal. Und wenn nun eine Friedenstaube ist, wie sie Kuno Mahnkopf im GT beschreibt, auf dem Denkmal sitzt und sich sichtlich freut, zum Beispiel über die Beschädigungen an der Tafel und die bunten Farbtupfern …
Meine Ideen, werde ich hoffentlich bald mal aufschreiben können (wie wäre es mit einer open-Air-Ausstellung auf der Rückseite des Denkmals – als unmittelbarer Anwohner kann ich sagen, dass dort ziemlich häufig langgegangen wird (zwecks kruder Ampelanlage). Dort könnten mehrere Informationstafeln eingerichtet werden; oder für diese wird der gesamte Platz umgestaltet – was mir jedoch den Charm eines verwilderten, ollen Klotzes zerstören würde).
Spray-Aktion im Juli 2020
Und in der Zwischenzeit: Es geschah wenig, Stimmen wurden kurz laut, doch keine Worte gewechselt; Äußerungen oder Initiativen seitens der Stadt blieben aus. Eventuell aufgrund des ausbleibenden vertieften Diskurses wurde des Denkmal kurzerhand am 8. September von einer Aktionsgruppe durch ein weißes Tuch mit roter Aufschrift „Rassismus abreißen – Göttingen dekolonisieren“ verdeckt. Zusätzlich wurde über das von der Stadt aufgestellte Hinweisschild ein neuer Text mit Kabelbinder befestigt. Diese recht künstlerische Installation wurde jedoch kommentarlos (vermutlich am selben Tag/vom Ordnungsamt?/Grünflächenamt?) entfernt. Doch wurden etliche Bilder der Installation publiziert, unteranderem auf Imago (spfimages) und von Michael Brakemeier (GT) auf Twitter. (ergänzt am 18. September 2020)
» Unbekannte haben das Süd-West-Afrika-Denkmal in #Göttingen verhüllt: „#Rassismus abreißen, Göttingen dekolonisieren“. #Kolonialismus #BlackLivesMatter «
Michael Brakemeier (@soulmib), twitter, 8. Sept. 2020
© Michael Brakemeier, @soulmib, 8. Sept. 2020
© Michael Brakemeier, @soulmib, 8. Sept. 2020
© Michael Brakemeier, @soulmib, 8. Sept. 2020
In der Zwischenzeit wurde das Denkmal ein weiteres Mal besprayt. Auf der historischen Tafel findet sich nunmehr in schwarzer Farbe ein 161 nebst Hammer und Sichel, das neuere, städtische Hinweisschild (s.u.) wurde übersprüht und unleserlich gemacht. Es bleibt ein Steinsockel ohne Aussage, doch auch ohne Erinnerung an die Taten deutscher Kolonialsoldaten, ohne eine Erinnerung an die Unterdrückung, das Morden, an den Genozid an Nama und Herero. Wieso wird die neuere Tafel unleserlich gemacht und somit weder modernisiert, noch ergänzt (wie es die vorherige Aktion Anfang des Monats temporäer unternommen hat). (aufgefallen und notiert am Abend des 30. September 2020) [auch der Stadt Göttingen fiel die Schwarze Schmiererei am 30. Sept. 2020 auf, am 1. Okt. wurde Strafanzeige gestellt; ergänzt am 11. Mai 2021]
In der Zwischenzeit wurde die schwarze Farbe auf Denkmal und Tafel entfernt [am 24. März 2021; erg. 11.5.], stattdessen findet sich nun mittlerweile eine rosa-pinke »161« auf dem Denkmal, vor allem auf der Plexiglasscheibe über der historischen Tafel, aber auch auf Sockel an sich. Auf der Seitenwand der Sockel finden sich weitere kryptische Buchstaben; mutmaßlich AFA. Die kritische Tafel vor dem Sockel wurde dieses Mal hingegen nicht beschädigt. (aufgefallen am Abend des 4. Mai 2021; ergänzt am 5. Mai, erweitert am 11. Mai 2021)
Bis meine Gedanken zum Denkmal folgen, möchte ich hier ein paar Links und Notizen zum »Südwestafrika«-Denkmal zusammentragen, halbwegs chronologisch …
allg.: Informationen auf der Denkmal-Seite der Stadt Göttingen (vermutlich von 2007). Mit Chronik.
10.09.2020:
Unbekannte verhüllen West-Afrika-Denkmal in Göttingen mit weißem Stoff, Anja Würfel, Stadtradio Göttingen.
08.09.2020: Göttinger Denkmal verhüllt – Vorwurf: Rassistisches Monument, Michael Brakemeier, Göttinger Tageblatt.
25.08.2020: Noch zeitgemäß? Die Debatte um das Blumenbach-Institut und das Südwestafrika-Denkmal, Dominic Steneberg, Stadtradio Göttingen.
10.07.2020: Kolonialzeit und Rassismus – Kritik an Göttinger Gelehrten und ein Denkmal, GT.
01.07.2020: Göttingen dekolonisieren – weg mit dem Südwestafrika-Denkmal. Ausführliche Argumentation der Fachgruppe/Basisgruppe Geschichte, Uni Göttingen.
01.07.2020: Fotos von Klaus Peter Wittmann, u.a. auch historische Aufnahmen.
30.06.2020: Zersägt, zertrümmert und ergänzt – das Südwestafrika-Denkmal, Kuno Mahnkopf. Göttinger Tageblatt. (als .pdf beim Geschichtsverein)
21.03.2018: Geschichtsstudierende organisieren Ausstellung „Göttingen – eine Kolonialmetropole?“, Lina Küther. Stadtradio. (mit Audio)
xx.10.2017: Wahrnehmungen schärfen! – Vorschläge zum Umgang mit dem kolonialen Erbe des Kaiserreiches, Christoph Ludszuweit. Graswurzelrevolution. (Nennung u. Kontextisierung, Beschädigung 1972)
xx.xx.2012: David Meiser: Das Südwestafrika-Denkmal, in: Michael Sauer: Denkmäler in Göttingen. Handreichungen für den Geschichtsunterricht. Universitätsverlag Göttingen, 2012. S. 37-44.
31.10.2008: Spätes Bekenntnis eines Denkmalstürmers, Jürgen Gückel, Göttinger Tageblatt.
xx.xx.2007: Recherche auf goest.de (ausführlich, aktualisiert, mit Fotos und Dokumenten).
18.04.2007: Beitrag auf Indymedia zur Tafelenthüllung und Beobachtung durch den Staatsschutz Göttingen (aufgegriffen von der BG Geschichte, s.o.)
29.01.2007: Andauernde Auseinandersetzungen um das Kolonialkriegerdenkmal in Göttingen – Eine Chronik, Joachim Zeller. (Ausführliche, bebilderte Recherche)
o.J: (Post-)Koloniale Monumente. Denkmalinitiativen erinnern an die imperiale Übersee-Expansion Deutschlands, Joachim Zeller. (Kontextualisierung)
o.J: Ein kolonialer Adler wird zum Anti-Kolonialdenkmal, Hendrik Resen. Namibiweb.
Weiteres folgt zeitnah …
folgt
Tweets zu den Ereignissen
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8. September 2020, Aktionsgruppe
Bei der gewaltvollen Niederschlagung des Aufstandes gegen die Deutsche Kolonialherrschaft kamen 1904, Schätzungen zufolge, zwischen 60.000 und 80.000 Herero und Nama ums Leben. Aus dem in Göttingen stationierten 2. Kurhessischen Infanterie-Regiment Nr. 82 meldeten sich rund 100 Soldaten freiwillig für den Einsatz in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, von denen 42 für den Krieg rekrutiert wurden.
Dieses Denkmal ehrt den Einsatz der vier bei den Kampfhandlungen gestorbenen Göttinger Soldaten und glorifiziert damit einen Krieg, der inzwischen offiziell als Genozid anerkannt ist.
Die Stadt Göttingen verweigert sich den seit den 1970er Jahren bestehenden Forderungen nach der Umwidmung oder Entfernung dieses rassistischen Monuments nachzugehen und sich mit den kolonialen Verstrickungen ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das werden wir nicht länger tolerieren.
Tear down this shit! Stop racism! Göttingen dekolonisieren!
18. April 2007, Stadt Göttingen
Das Denkmal wurde 1910 errichtet für die Angehörigen der „Schutztruppe“ in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch Südwestafrika (heute Namibia), die während das Krieges gegen die Herero und Nama (1904-1908) umkamen. In diesen, von Seiten des Deutschen Reiches mit großer Rücksichtslosigkeit geführten Kämpfen fanden tausende Angehörige beider afrikanischer Völker den Tod. Der Krieg gegen die Herero und Nama gilt als eines der größten Verbrechen der deutschen Kolonialgeschichte.
Das Denkmal bestand ursprünglich aus einem Steinsockel mit Widmungsplatte, der 1913 durch einen bronzenen Adler ergänzt wurde. Der Adler wurde 1978 entwendet, in Einzelteile zerlegt und der Kopf zugunsten der Zimbawe Africa National Union (Zanu) versteigert. 1999 wurde der Adlerkopf der Universität von Nambia übergeben, wo er zur Erinnerung an die Kolonialkriege und die Unterdrückung der Völker Afrikas und ihren Widerstand ausgestellt wird.
Januar 2006, Göttinger Antikolonialbündnis
Die deutsche Kolonialgeschichte ist eine blutige Geschichte. In allen Ländern, / die Deutschland als „Schutzgebiete“ für sich beanspruchte, wurde die / einheimische Bevölkerung brutal ausgebeutet und unterdrückt. / Als sich 1904 in „Deutschsüdwestafrika“ – dem heutigen Namibia – die / Herero und Nama gegen die Besatzer zu wehren begannen, reagierte die deutsche / Kolonialarmee mit einem Völkermord. Von 80.000 Herero überlebten nur 16.000. / Von 20.000 Nama wurden mehr als die Hälfte umgebracht.
Wir Göttingerinnen und Göttinger / gedenken der Menschen, die von den deutschen / Kolonialtruppen ermordet wurden.
Wir fordern die Bundesrepublik Deutschland auf, / endlich ihre Verantwortung anzuerkennen und / Entschädigung an die Nachkommen der Opfer zu zahlen.
Mit dem Denkmal, vor dem diese Tafel steht, hält / die Stadt Göttingen bis heute das ehrende Geden-/ken an Massenmörder aufrecht. Seit 1910 erinnert / es „in Dankbarkeit und Treue“ an gefallene deut-/sche Soldaten, die am Genozid an den Herero und / Nama in „Deutschsüdwestafrika“ beteiligt waren. / 1978 holten Mitglieder des Kommunistischen Bun-/des Westdeutschland in einer anti-kolonialen Aktion // den auf dem thronenden Bronze-Adler / von seinem Sockel. Die ebenfalls entwendete Ge-/denktafel ließ die Stadt neu anfertigen / und wieder anbringen – mit dem Originalwortlaut. / Bis heute weigert sich die Stadt das Denkmal mit / einer neuen Tafel zu versehen und es umzuwidmen / zu einem Mahnmal für die Opfer des deutschen / Kolonialismus.
1978, Stadt Göttingen
Für Kaiser und Reich / starben in Südwest-/afrika 1904-1906 vom / Infanterie-Regt. Nr. 82
Sergt. Gross 12. Komp.
Gefr. Rossplech 3. Komp.
Gefr. Schäfer 3. Komp.
Reiter Burghardt 2. Komp.
Zur bleibenden / Erinnerung gewidmet / in Dankbarkeit und Treue / von den Offizieren / Unteroffizieren / und Mannschaften / des 2. Kurh. Infan-/terie-Regts. Nr. 82. / Der Bronzeadler / und die Gedenkplatte / sind am 7. 4. 1978 / von Unbekannten / gestohlen worden.
Ich veröffentliche an dieser Stelle diesen Text, auch wenn ich die Wiederherstellung der Gedenktafel ohne eine eindeutige Benennung des Genozids stark kritisiere. (ergänzt am 18. September 2020)
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